Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 39/2010 der Wochenzeitschrift prisma auf den Seiten 6 und 7:

Thema der Woche

Selbst ist das Haus

Jenseits von Gas und Öl: Familie Haacke wohnt in einem Haus in Herdecke, das mehr Energie produziert als verbraucht

Viel Freiraum: Blick von der Galerie auf die Sitzgruppe im Wohnzimmer
Foto Plus-Energie-Haus Haacke innen

Die Ligustersträucher sind zu Kugeln gestutzt, im romantischen Bauerngarten lockt ein kleiner Teich, und durch die Blätter der alten Esche rauscht der Herbstwind. "Den Baum mussten wir kräftig zurückschneiden lassen, damit unsere Photovoltaikanlage die Sonnenenergie voll nutzen kann", erklärt Catrin Haacke.

Mitten ins grüne Idyll hat sich die Familie 2009 ein Stück High-Tech gebaut - ein sogenanntes Plus-Energie-Haus. Es schafft das Kunststück, mehr Energie zu erzeugen, als seine Bewohner verbrauchen. Ein Perpetuum mobile in Sachen Energie, das zeigt, dass schöner Wohnen und der Einsatz regenerativer Energien sich prima ergänzen.

Tatsächlich liefert die Sonne den Haackes den Strom und die Erde die Wärme. Nur das Wasser kauft die Familie von den Stadtwerken. Und das Beste: Anstatt 800 Euro Nebenkosten im Monat für das Haus mit zwei Wohnungen und insgesamt 450 Quadratmetern Wohnfläche zu zahlen, bekommen die Haackes jährlich eine Gutschrift über 1500 Euro geschickt. Denn der gesamte Strom aus ihrer Photovoltaikanlage wird zum Stromversorger geschickt und mit dem Verbrauch der Haackes verrechnet.

Zur Wärmegewinnung mussten auf dem Grundstück in Herdecke an der Ruhr zunächst drei Bohrungen von jeweils 80 Metern Tiefe durchgeführt werden. In die Bohrlöcher wurde eine Leitung verlegt, die mit Glykol gefüllt ist. In der Tiefe herrscht in dieser Region das ganze Jahr hinweg eine konstante Wärme von 15 Grad. Das Glykol zirkuliert in der Leitung, an die eine Wärmepumpe angeschlossen ist.

In diesem heizungsgroßen Gerät, das in einem kleinen Abstellraum im Haus untergebracht ist, wird das auf 15 Grad erwärmte Glykol komprimiert. Die Energie, die dabei entsteht, reicht aus, um das Wasser für Heizung, Küche und Bad auf gut 40 Grad zu erhitzen. Umgekehrt kühlt das 15 Grad warme Glykol über das Wasser in der Fußbodenheizung an heißen Sommertagen das Haus.

Der Wärmetauscher wird mit Strom betrieben, den die 110 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf dem Dach liefert.

Das Haus mit 110-Quadratmeter-Solaranlage
Foto Plus-Energie-Haus Haacke außen

Auf 20 Prozent schätzt der Innenarchitekt Gisbert Haacke die Bau-Mehrkosten für sein Energie-Haus gegenüber einem in herkömmlicher Bauweise errichteten.

Je höher die Preise für Öl und Gas steigen, desto geringer fallen die Kosten für die zusätzlichen Energiesparmaßnahmen ins Gewicht, zumal die Preise für Wärmepumpen und Solaranlagen weiter in den Keller gehen.

Für die drei Bohrungen haben die Haackes 12000 Euro, für ihre Photovoltaikanlage 50000 Euro bezahlt. "Als Bauherr mit grünem Herzen wollte ich mit meinem Haus zeigen, was alles machbar ist. Darum habe ich neben dem Einsatz erneuerbarer Energien konsequent auf Fassadendämmung und hochwertige Dreifachverglasung gesetzt", sagt Haacke, der auch als Energieberater tätig ist. Das Haus ist exakt nach Süden ausgerichtet, das Dach hat den für die Sonnennutzung optimalen Neigungswinkel von 41 Grad und die Zwischenräume der Verglasung sind mit dem hochdämmenden Edelgas Krypton gefüllt. "Die Scheiben isolieren wie eine 36 Zentimeter starke Wand", weiß Haacke. Beim Bau seines Hauses wollte er unbedingt auf Nummer sicher gehen. "Es könnte ja möglich sein, dass durch ein leichtes Erdbeben unsere Glykolleitungen beschädigt werden. Für den Fall haben wir noch einen Kaminofen im Wohnzimmer."

Angesichts des Wohnzimmers im Plus-Energie-Haus kann man ins Schwärmen kommen: ein fünf Meter hoher Wohnraum mit offener Galerie. Oben ist der Leseplatz mit Blick auf die Sitzgruppe mit Sesseln des in Italien geborenen Designers Harry Bertoia. Auf der anderen Seite der Galerie schaut man auf eine von der Hausherrin konstruierte grifflose Küche mit Nussbaum-Fronten. Verbindungsglied ist der Esstisch für zehn Personen.

Im energiesparenden Dampfgarer zaubert Catrin Haacke Köstlichkeiten wie mit Parmaschinken ummantelte Möhren in Ricotta-Creme. Natürlich geschieht die Küchenarbeit im Licht energiesparender LED-Lampen, die sich beim Betreten oder Verlassen des Kochbereichs automatisch ein- bzw. abschalten.

Übrigens: Wissenschaftler haben errechnet, dass die Erdwärme, die in den oberen drei Kilometern der Erdkruste gespeichert ist, theoretisch ausreichen würde, den weltweiten Energiebedarf für 100000 Jahre zu decken.

So lange wird das Plus-Energie-Haus in Herdecke nicht stehen. "Aber es ist ein gutes Gefühl, jenseits von Öl und Gas so schön leben zu können", sagt Haacke.

Franz Hünnekens

Wo gibt es Fördermittel?

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat unter www.erneuerbare-energien.de Tipps zur Förderung zusammengefasst. Beispielsweise das KfW-Programm "Tiefengeothermie günstig finanzieren". Die Energieagentur NRW bietet auf ihrer Seite www.ea-nrw.de einen Photovoltaik-Rechner. Damit lassen sich Kosten und optimale Größe einer Solaranlage errechnen. Auch manche Kommune unterstützt regenerativen Energieeinsatz.

Fotos: Andreas Buck, FH